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October, 2012:

Versäumte Traumstrände und Geisterstädte

…über Formentera ins Mar Menor

 

In der Morgendämmerung laufen wir aus Mahon aus, bei schwachem Nasenwind motorsegeln wir an Mallorca vorbei nach Südwesten, in der Nacht wird die alte Welle weniger und wir kommen recht gut voran, auch wenn die Segel manchmal schlagen. Andrea und Isabella überholen uns und grüßen über Funk. Gegen Morgen kann endlich wieder der Autopilot übernehmen. Die Maschine bleibt an, denn die Ansteuerung von Formentera, unserem nächsten geplanten Stop, ist südlich von Ibiza knifflig. Wir wollen das noch bei Licht schaffen. Es gelingt auch tatsächlich, und wegen der Menge von Untiefen, Booten und Schnellfähren dort war das auch wichtig. Auf den Baleareninseln hat man, um das ökologisch wertvolle Seegras vor den vielen Ankern zu schützen, in vielen Buchten Muring-Bojen ausgebracht, an denen man zwei Tage lang gratis festmachen darf. Wir nützen die Gelegenheit an der Nordküste von Formentera, auch wenn alle Bojen für Boote unserer Größe besetzt sind. Es geht kaum Wind und sollte also gutgehen.

In der Früh motoren wir in den kleinen Hafen um zu bunkern und einen Wetterbericht aufzutreiben. Dieser, in fließendem Spanisch verfaßt, verspricht recht gute Bedingungen für unsere Überfahrt zum spanischen Festland. Uli verzichtet schweren Herzens auf die weißen Traumstrände, auf die sie sich lange gefreut hatte, und wir legen sofort wieder ab.

Was soll ich sagen: zuerst wenig Wind mit viel Dünung, in der Nacht frischt es bis 25 Knoten auf und wir steuern wieder bei drei bis vier Meter Welle durch die Nacht, immer zwischen vielen Frachtern. Irgendwann überqueren wir den Null-Meridian – doch irgendwie ein Meilenstein! Ursprünglich wollten wir bis Cartagena, aber in der Früh haben wir genug und laufen das sogenannte Mar Menor an, ein kleines Binnenmeer, erreichbar durch einen Kanal mit einer Brücke. Wir warten vor Anker, bis diese geöffnet wird und fahren in das ruhige Gewässer ein. Ankern, ein Bier, dann schlafen.

Abends gibt’s einen Spaziergang durch diese seltsame, synthetische Welt. Hunderte von unverkäuflichen, leerstehenden Appartments, rund um verlassene Marinas und leere Strände. Die wenigen Leute sind wieder ausgesprochen nett und hilfsbereit. Die Gier hat diesen interessanten Landstrich zu einer Wüste gemacht, die “Krise” hat lediglich den Zeitpunkt des Scheiterns und das Ende der Spekulation bestimmt.

 

Vermutlich war’s einmal sehr schön hier!

 

Liebe Grüße an alle

Uli & Peer

Abenteuer und große Seelen

…Achterbahn der Gefühle

 

Kaum kommen wir aus der Abdeckung von San Pietro, schon empfängt uns wieder das “Mare Nostrum” mit Hallo: windschwach mit langer, vier Meter hoher Dünung, dummerweise gleichzeitig aus Südost und Südwest. Manchmal sind die Köpfe der Wellen wirklich beeindruckend. Anfangs können wir ganz gut segeln, dann aber schläft der Wind ganz ein und nur der elende Seegang bleibt. Natürlich nichts für unseren Autopiloten, also stündlich abwechseln am Steuer. Den Tag, die Nacht, den nächsten Tag. 20 Meilen vor dem Landfall setzt der angekündigte Mistral ein. Voodoochile reitet mit gerefften Segeln und mit 8 Knoten Fahrt durch die Finsternis und wir kommen kaum nach mit der Navigation. Jetzt fallen uns die etwas makabren Glückwünsche (Bocca di Lupo, Crepi – also ins Maul des Wolfes, oder krepiert) unserer neuen Freunde aus Carloforte ein. Uli steuert souverän und mit hoher Fahrt durch die schmale Einfahrt und dann in die stockfinstere Ankerbucht nördlich der Isla de Lazaret, wo einige Boote vor Anker liegen. Wir werfen unseren irgendwo ins seichte Wasser – mitten in der Durchfahrt, wie wir am nächsten Morgen erkennen müssen, und wie uns ein großes Ausflugsboot per Hupe mitteilt.

Heute wird aufgeräumt, geschlafen, telefoniert und wieder geschlafen.

Um 0500 weckt uns ein mächtiges Gewitter und durch die Salonfenster beobachten wir mit Schrecken, dass bei einigen Booten die Anker offenbar nicht halten, denn sie motoren kreuz und quer durch die Bucht. Verunsichert, aber noch zuversichtlich wollen wir Kaffee machen, aber in einer Bö von 45 Knoten (wurde uns später mitgeteilt) geht auch Voodoochile auf Drift! Binnen 30 Sekunden laufen wir in Lee auf Grund – glücklicherweise Sand.

Leichte Panik – zugegeben!

Fast sofort, im Finstern und bei strömendem Regen, rast Andrea von der “Creuza de Mä” (dazu später) in seinem starken Dinghi herbei und bringt unseren Reserveanker an langen Leinen in Luv aus, mit dem wir uns später auch wieder befreien können. Paco von der “Olé” hilft inzwischen einem gestrandeten Motorboot. Insgesamt gingen in dieser Nacht fünf von sieben Booten auf Drift.

At this place for you Isa, Andrea, Theda and Paco: we’ll never forget your immediate efforts to help us, for keeping us in good mood and for your great company! Hope to meet up on the Canaries soon! Baci and big hugs from us!

 

Andrea und Isabella, ein junges Profisegler-Pärchen, auf ihrer wunderbaren SWAN 65 “Creuza de Mä” (“Weg zum Meer” in genuesischem Dialekt, nach einem Lied von Fabricio de Andre benannt), sowie Theda aus Peru und Paco aus Spanien auf ihrem Katamaran “Olé”, wurden beim Tratschen und gemeinsamen Abendessen und Auflügen in kurzer Zeit zu echten Freunden. Andrea borgte uns sein Dinghi für Einkaufsfahrten (20 PS sind gerade genug, wenn man die Zigaretten vergessen hat), erzählte von seinen weiten Reisen, versorgte uns mit Tipps und Wetterberichten, zeigte uns die schöne Swan und redete uns nach dem ausgestandenen Schrecken gut zu. Trotz seiner Jugend gehört er zu den souveränsten Seglern, die ich kenne. Ausserdem sagte er Uli, dass Spaghetti und Sugo IMMER vor dem Servieren im Topf zusammengemischt werden dürfen. Paco erzählt, dass sein Anker zwei Tage zuvor nicht gehalten hätte. Der Boden dürfte hier also nicht ganz so verlässlich sein, wie in unserem Hafenführer beschrieben. Wir haben jedenfalls jetzt 55 Meter Kette mit zwei großen Ankern draußen und schlafen dennoch nicht mehr so ruhig wie früher.

Von Menorca haben wir nicht wirklich viel gesehen, aber zumindest die Altstadt von Mahon, der Hauptstadt, besucht, sowie eine der großen Festungen erwandert. Der große Naturhafen trieft nur so von Geschichte und die vielen Festungen und auch aktuelle militärische Anlagen wirken etwas bedrohlich. Insgesamt eindrucksvoll und sicher einen längeren Aufenthalt wert.

Am Tag vor der Abreise geht das “Ankerkino” weiter: ein Charterboot mit deutscher Crew reißt sich in einer Bö los und treibt uns direkt in den Bugspriet. Gottseidank hat sich niemand verletzt, aber Bimini und Reling der Bavaria sind ziemlich lädiert.

Traurig ist der Abschied von unseren neuen Freunden, aber sie gehen auch nach Westen und die Chancen, sie demnächst wieder zu treffen, sind gut.

Morgen geht’s wieder weiter, das Wetter sollte für 30 Stunden akzeptabel sein

Liebe Grüße an alle

Uli & Peer

Carloforte, ein Platz zum Bleiben

…es sei denn, man ist ein Thunfisch

 

Die folgenden paar Updates sind ein Rückblick auf die vergangenen zwei Wochen – was der Geschichte vielleicht ganz gut tut. Es war intensiv und aufregend, meist in positivem Sinn, aber nicht immer.

Carloforte wird für uns immer in guter Erinnerung bleiben. Ein kleines Städtchen auf der Insel San Pietro, an der Südwestecke von Sardinien gelegen. Extrem freundliche Leute, malerische Gassen mit bunt bemalten Häusern, kaum Touristen um diese Jahreszeit, viele Fischer, der lustige, unverständliche genuesische Dialekt der Menschen (die Bewohner wurden einst aus dem Raum Genua hierher gesiedelt), der eher ans Portugiesische erinnert und von dem wir kaum ein Wort verstehen können, und immer irgendwie das Gefühl, an einem weit vom bekannten Europa entfernten, vergessenen Ort zu sein.

 

Es ist spätsommerlich, abends schon kühler. Unsere Domina, der Wetterbericht, verordnet uns eine Pause von drei Tagen bis zur nächsten Überfahrt. Wir nehmen sie gerne, wenn auch mit schlechtem Gewissen. Der “Schwarze Mann” heißt hier Mistral, ein gefürchteter, teils stürmischer Nordwind aus dem Golfe de Lyon, nach dem sich das Leben der Fischer richtet und vor dem auch wir natürlich großen Respekt haben. Wir lernen Nicola, den hilfsbereiten Marinachef, kennen, sowie später auch den Tankwart der Stadt, dem es nicht zu blöd ist, sich einige Kanister auszuborgen und uns mit seinem Vespa-Dreirad persönlich 300 Liter Diesel zum Boot zu bringen. Alles dreht sich hier um den Thunfischfang  (angeblich jetzt nur mehr mit Langleinen), jedes Lokal serviert Thun und es gibt sogar eine Fachhochschule für dieses Gewerbe. Das Tüpfelchen auf dem I liefert aber der Besitzer eines Delikatessengeschäftes mit angeschlossenem, ausgezeichnetem Imbisslokal (Spezialität: Thunfisch in jeder Form), der uns von der Straße hereinholt, und uns stolz seine jüngste Kreation zum Kosten anbietet: Brotaufsstrich aus Thunfischeiern und Schokolade! Carloforte-Nutella also!

 

Sehr sehenswert sind auch die ehemaligen Salinenbetriebe, die heute ein Naturschutzgebiet bilden und viele Tierarten beheimaten.

Schade! Es wäre so schön, hier zumindest einen Winter zu verbringen – vielleicht sogar längere Zeit. Es ist einfach so sympathisch hier.

What shall’s!

Nur 40 Stunden bleiben uns, um vor dem nächsten Tief auf die Balearen zu kommen.

Am Mittwoch, dem 26.9.2012 machen wir die Leinen los mit Kurs WNW

 

Liebe Grüße an Alle

Uli & Peer