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November 10th, 2012:

Durchs Nadelöhr

ins “Meer für Erwachsene”…

 

In aller Früh laufen wir aus, denn der Wetterbericht ist ausnahmsweise wirklich günstig. Für die Straße von Gibraltar ist das ganz wesentlich, den bei stärkerem Gegenwind gibt’s hier kein Durchkommen. Unmerklich ist es Herbst geworden, das Thermometer zeigt nur mehr 14° an; noch vor kurzer Zeit haben wir tagsüber ziemlich geschwitzt und uns immer auf die Abenddämmerung gefreut. Damit ist’s, wahrscheinlich für den Rest des Jahres, jetzt vorbei. Kaum zu glauben, wie schnell dieser Sommer wieder vorübergegangen ist.

Wir segeln auf Raumschotkurs (wie oft war das eigentlich in den letzten Wochen der Fall?) und reden über die Zukunft. Soviel ist noch unklar! Fest steht nur, dass wir viel Geduld brauchen werden und stark im Improvisieren sein müssen. Uli denkt an ihre kurze Heimreise von Cadiz und wir beide freuen uns auf den geplanten Besuch unserer Kinder im Jänner auf den Kanaren.

Gerne hätte ich Uli Gibraltar gezeigt, das ich von früheren Fahrten kenne und sehr schätze. Dafür ist diesmal keine Zeit, aber man soll nie “nie” sagen. Im letzten Tageslicht sehen wir “The Rock” aber wenigstens von See aus, obwohl wir wegen dem immer dichter werdenden Schiffsverkehr und den vielen auf Reede liegenden Frachtern sehr konzentriert bleiben müssen. Vor der “Bay of Gib” warten große Schiffe auf ihre Lotsen (Gibraltar wird von der Großschiffahrt bevorzugt angelaufen, da es steuergünstig ist, die Liegekosten niedrig sind und vor allem der Treibstoff hier sehr wenig kostet), Schnellfähren queren die 14 Seemeilen zwischen Afrika und Europa im Höllentempo, und die endlose Kette von Schiffen, die in den Atlantik wollen oder von dort kommen, reißt niemals ab. Dazu frischt der Wind auf 20 Knoten auf und schiebt uns zusammen mit starkem achterlichen Strom (eher durch Zufall, als aufgrund unserer Vorausberechnung) sehr rasch an Tarifa vorbei ins große Meer. Schade, dass es eine stockfinstere Neumondnacht ist.

Um 0300 runden wir das berühmte Kap Trafalgar und die See wird wegen der geringen Wassertiefe grob und konfus. Aufgrund der zahlreichen Untiefen sind wir gezwungen, weit nach Westen aufs offene Meer auszuweichen, was nicht so einfach ist, da wir die Richtung der großen Wellen beachten müssen, um überhaupt Kurs halten zu können. Uli steht mit einer Miene wie seinerzeit Admiral Nelson am Ruder, singt laut zur Musik aus dem Ipod und ignoriert die manchmal brechenden Seen. In Wirklichkeit sind wir einfach nur müde und ziemlich erleichtert, als sich das Ganze am Morgen deutlich beruhigt. Am Vortag haben wir am Funk die üblichen “Navigational Warnings”, in denen von möglichen Schießübungen der Marine in der Bucht von Cadiz die Rede war, zwar gehört, aber nicht genau verstanden. Deshalb funken wir Cadiz-Traffic an, um das zu verifizieren. Man empfiehlt uns freundlich, uns nahe der Küste zu halten (wollen die über unsere Köpfe schießen???), und verspricht, uns im Notfall anzufunken. Naja!

Gegen Mittag kommen wir in Cadiz an. In der vereinbarten Flußmarina “Santa Maria” weist man uns wegen Bauarbeiten ab und wir übersiedeln in den Hafen “Puerto Sherry”, wo wir nach den üblichen Formalitäten gut festmachen und dann sofort einschlafen. Heute ist Mittwoch, der 17.Oktober.

 

Wir sind jetzt – mit kürzeren Unterbrechungen – seit fast fünf Monaten unterwegs und VOODOOCHILE hat dabei fast 2.500 Meilen geloggt. Wir haben viel erlebt, das Meiste davon wirklich schön, viel über uns und unser Boot gelernt und sind uns auf neue Art nähergekommen. An Vielem sind wir aber leider vorbeigefahren! Unser Terminplan war einfach nicht realistisch, wir möchten aber keinen Moment dieser “Raserei” missen.

Uli bleibt gerade noch ein Tag zum Einkaufen und Bootputzen, dann sitzt sie schon im Bus nach Malaga, von wo aus sie nach Graz fliegen muss.

Jetzt beginnt ein ganz neuer Abschnitt

Liebe Grüße an alle

Uli & Peer

Andalusia

die “Costa del PVC” ist trotz allem wunderbar…

 

Gegen Mittag laufen wir bei Flaute von Cartagena aus. Der große Unterschied zwischen den synthetischen, modernen Welten hier, für die im Moment niemand Verwendung hat, und andererseits der Geschichtsträchtigkeit einiger Orte an Spaniens Südküste, stimmt etwas nachdenklich. Dieser Eindruck ändert sich auch nicht, als ein schnelles Schlauchboot der Küstenwache längsseits kommt, um uns zu kontrollieren. Die Beamten verabschieden sich freundlich, nachdem wir uns als Mitglieder eines Bergvolkes geoutet und daher bestimmt zu wenig Erfahrung haben, um uns als Schmuggler oder Schlepper zu betätigen. Sie haben hier sicher keinen leichten Job und auch heute gibt’s wieder Aufrufe am Funk, nach Flüchtlichsbooten Ausschau zu halten. Was können sich die Afrikaner hier eigentlich erwarten? Unterbezahlte Schwarzarbeit unter den viele Kilometer langen Plastikplanen der EU-gestützten Gemüseindustrie? Die Gegend ist eine wildromantische Halbwüste, der nur mit Hydrokultur, die sich das wenige Wasser mit den verwaisten Golfplätzen teilen muss, und mit viel Chemie beizukommen ist.

Am Nachmittag kommt etwas Südwestwind auf und wir setzen Segel. Dies hält jedoch nicht lange an. Unsere Strategie, die häufigen Gegenwinde zu vermeiden, hat ihren Preis: Flaute und Motor, jetzt als “Ausgleich” auch dichten Nebel! In der Nacht hören wir das Schnaufen der Delphine mehr als dass wir sie sehen können. Wir halten angestrengt Ausschau nach den vielen Trawlern, die nach Passieren des Cabo de Gato kreuz und quer den Meeresboden abgrasen.

In der Früh wird’s besser und wir sind froh, beim Ansteuern durch die flachen Gewässer von Almerimar doch recht gute Sicht zu haben. Man empfängt uns freundlich und das – in Spanien überall erforderliche – Einklarieren ist schnell erledigt. Wie immer steht Uli bei Hafenmanövern am Ruder und redet unserer eigensinnigen VOODOOCHILE gut zu, doch irgendwie in die Box zu fahren. Bei Seitenwind gehen wir halt mit dem Bug voran an die Murings, was auch den Vorteil von mehr Privatsphäre im Cockpit hat.

Almerimar ist ein großer, relativ neuer Sportboothafen, umgeben von einer Unzahl von Appartmentanlagen und Lokalen, der bei Fahrtenseglern wegen seiner guten Infrastruktur und den moderaten Preisen sehr beliebt ist. Manch einer überwintert hier und bastelt am Boot. Letztlich ist es hier aber, trotz der schönen Landschaftskulisse im Hintergrund, doch etwas trostlos, vielleicht auch saisonbedingt. Auf mehr als der Hälfte der Immobilien und Boote hängt das obligatorische Schild “se vende”. Kaum vorstellbar, was mit all diesen ehemaligen Träumen einmal geschehen soll. Man erzählt uns, dass Bauträger all die Wohnanlagen gebaut und an Privatpersonen als Geldanlage mit hoher Rendite verkauft haben, was auch ein paar Jahre lang gut gegangen ist. Nun ist aber der Markt zusammengebrochen, die Wohnungen sind unverkäuflich und an Banken verpfändet, denen ihrerseits die Kriegskasse ausgeht. Sollten diese Leichen jemals aus dem Keller geholt werden müssen, dann wird jeder “Rettungsschirm” vermutlch zu klein sein…

Wir lassen unseren betagten und störrischen Außenborder reparieren und kaufen endlich eine sogenannte EPIRB-Boje, ein Satellitensystem, das im Fall der Fälle auch auf hoher See Hilfe herbeiholen soll. Diese wird in England zentral registriert und bei Aktivierung können wir identifiziert, Hubschrauber und Schiffe losgeschickt und unsere Kinder verständigt werden. Eigentlich wollen wir das nicht fertig denken, sondern tratschen lieber mit Antje und Jürgen von der “Hanta Yo”, einem sehr netten deutschen Pärchen, das mit seinem kleinen Boot auf großer Fahrt ist.

 

Der Forecast sagt weiterhin “Nasenwind” an, aber wir müssen trotzdem irgendwie nach Westen weiter. Geliebtes Terminsegeln! Also raus ins bockige Wasser. Anfangs kreuzen wir auch recht erfolgreich gegenan mit Kurs nach Motril, gegen Abend wird der Wind aber deutlich stärker und wir machen kaum noch Fahrt aufs Ziel. Schließlich haben wir genug und laufen den Hafen von Adra an, über den wir in unseren Unterlagen kaum Informationen finden. Statt des angekündigten kleinen Fischerhafens mit Ankermöglichkeit finden wir eine nagelneue Marina mit Schwimmstegen vor, die offensichtlich nie fertig gebaut wurde, und nun lediglich von einem Mövenschwarm und zwei Fahrtenbooten besetzt ist. Ein Beamter empfängt uns herzlich, checkt unsere Papiere und läßt uns dann gratis bleiben!

 

Heute praktisch eine Wiederholung von gestern: auslaufen bei Flaute, am Vormittag Gegenwind und kreuzen, gegen Abend fünf Beaufort aus WSW, in den Böen auch mehr. Unter innerlichem Protest laufen wir Marina del’Este an, ein kleiner, exklusiver Hafen, der sich deutlich von den vorangegangenen Plätzen unterscheidet. Ein bisschen “Reich & Schön”, aber immerhin teilweise bewohnt. In einer kleinen, malerischen Bucht unter der Steilküste, mit hübschen Villen und gräßlichen Terrassenwohnungen rundum, findet man hier trotz heftiger Fallböen ein geschütztes Plätzchen, das allerdings seinen Preis hat und deshalb für uns nicht wirklich eine Option ist. Wir erklimmen den Berg mit dem großen Leuchtturm, bestaunen die vielen tollen Gärten und lernen die nette britische Crew der “Sirius” kennen, die mit ihren Kindern unterwegs ist und auch auf günstigeren Wind wartet.

 

Es wird Zeit, durch die Straße von Gibraltar in den Atlantik zu gehen.

Also auf!

Liebe Grüße an alle

Uli & Peer