…und natürlich wird’s wieder ein Rückblick
Guadeloupe, Hafen von Pointe à Pitre, Mitte März 2015
Vielleicht hat es ja auch Vorteile, dass wir die folgenden Updates mangels akzeptablem Internet, aber vielleicht auch, weil wir immer wieder abgelenkt wurden, solange aufgeschoben haben. Vielleicht gelingt es mir, die Berichte etwas zu straffen und die Erlebnisse mit mehr Abstand zu betrachten. Es hat sich in der zu rasch verfliegenden Zeit viel ereignet.
Im Augenblick sind wir hier auf Guadeloupe, versuchen, uns an die letzten vier Monate zu erinnern und sortieren einige repräsentative Bilder aus tausenden anderen aus.
Der Abschied von Graz mit übervollem Gepäck, die schöne, etwas wehmütige Zugfahrt über den herbstlichen Semmering, letzte wunderbare Stunden mit Freunden in Klosterneuburg – alles schon Geschichte. Auch die mühsamen Flüge danach. Egyd Gstättner sagt:” Ein Flug ist keine Reise, sondern die Überbrückung einer Reise”. Dem ist nichts hinzuzufügen, es ist einfach nicht unser Reisetempo.
Die Ankunft in Port of Spain reißt uns sofort wieder aus diesem Film. 32° Hitze in der Nacht, Menschenschlangen und Ärger beim Zoll, keine Taxis. Wir kommen schließlich ziemlich erledigt bei unserer braven Voodoochile an und stellen erleichtert fest, dass sie in der langen Wartezeit auch ohne unsere Pflege ganz gut zurechtgekommen ist. Einige Teile aus spanischem “Qualitätssperrholz” an Deck sind verfault, und auch der feine Lederbezug des Steuerrades ist vergammelt, aber innen ist sie trocken und nicht stinkig, und offenbar hat sie auch kein Tropensturm durchgeschüttelt.
Ist man das Klima hier nicht gewohnt, so bringt es einen fast um; heiß, feucht, immer wieder Regen und Mosquitos. Wie viele andere mieten wir eine Klimaanlage, die, am Dach montiert, Erleichterung bringt. Draußen kann man nur frühmorgens und am Abend arbeiten. Wir orientieren uns, organisieren Professionisten für die wenigen Reparaturen, die wir nicht selber machen können und schauen uns um, wer von unseren Freunden auch schon hier ist. Da sind Brigitta und Horst von der “Sapphire”, die mit Geduld in der Hitze werkeln, Debbie und Luc mit ihrer “Plucky Lady”, die mit ernsten gesundheitlichen Problemen Kämpfen und vor allem endlich wieder Elke und Werner mit der “Naja” – eine Riesenfreude! Alle sind mit Problemen und Problemchen ihrer geliebten schwimmenden Schneckenhäuser beschäftigt und wollen schnellstmöglich hier weg.
Das ist eigentlich nicht fair. Sicher, Trinidad ist keine klassische Ferieninsel; sie ist groß, hat rund eine Million Einwohner, viele Probleme und der Tourismus steht nicht im Vordergrund. Die Marinas sind eingezäunt und durch (oft schlafende) Guards “streng” bewacht und wir werden mehrfach vor Überfällen gewarnt. Emotionen gehen oft hoch, von ausgelassener Freude bis zu erschreckender Gewaltbereitschaft. Im Kino sehen wir in einem guten Dokumentarfilm, eigentlich über die Entwicklung der hier in den 20er-Jahren entstandenen Steel-Pans (typische Trommeln aus Ölfässern), dass Kriminalität und Gewalt die Gesellschaft latent beeinträchtigen und schon bei Kindern fast normal sind. Als Frau kann man sich allein nur mit ungutem Gefühl frei bewegen.
Andererseits fällt auf, dass die Toleranz zwischen den vielen ethnischen und vor allem religiösen Gruppen außergewöhnlich hoch ist. Durch einstige Zwangsübersiedlungen von tausenden Menschen durch die Briten aus der Kolonie Indien hierher ist eine große hinduistische Gemeinde entstanden, die hier ungestört ihre Kultur leben und Religion ausüben kann, noch dazu ohne das zuvor übliche Kastenwesen.
Zu uns sind die Leute lieb. Es wird viel gelacht, wir bekommen viele gutgemeinte, aber falsche Auskünfte, das Leben ist relativ billig. Weniger toll ist, dass man uns Yachties grundsätzlich für Millionäre hält, die man möglichst über den Tisch ziehen muss, teilweise nicht sehr subtil. Ein typisches Schwellenland, mit allen Vor- und Nachteilen.
Neben unserem Arbeitsprogramm fahren wir mit einem klapprigen Leihwagen auf der englisch-falschen Straßenseite zu manch schönem Ort. Ehemalige tolle Pflanzungen, die jetzt zu Schaugärten und Naturschutzgebieten geworden sind, viele belebte Märkte mit Volksfeststimmung, Wasserfälle ohne Wasser, ein Konzert mit Gesangsvorträgen von Musikstudenten, bei dem man uns als Europäer wie Maharadschas öffentlich begrüßt, ein sehr professioneller Bosch-Dienst, wo man uns mit Kaffee bewirtet und uns eigens den Fernseher einschaltet, ein besonders freundlicher Empfang in einem Hindu-Tempel, und viele andere Kuriositäten haben uns Trinidad sehr viel näher gebracht. Auch hier gilt, dass jeder Ort eine zweite Chance verdient und man einfach länger bleiben muss. Das Land ist wild und ürsprünglich, so anders als die kleinen Antillen, die sich weitgehend auf Touri-Parties spezialisiert haben.
Wir wurschteln also alle an unseren Booten, werden tagelang von “Profis” bezüglich geplanter Termine vertröstet, bekommen die versprochenen Materialien nicht und sind trotzdem meist guter Dinge. Sehr verbreitet ist hier auch Dengue- und Chikungunyafieber, ziemlich ernste, von Mosquitos übertragene Infektionen mit starken, grippeähnlichen Symptomen. Viele erwischt’s. Ganz besonders leider auch Werner, der tagelang außer Gefecht ist. Außerdem fallen jetzt – wie bei den meisten Kollegen – die lange erwarteten Kakerlaken über uns herein. Sie tun niemandem was und sind eigentlich ganz freundlich, aber wenn’s im ganzen Boot schließlich nur mehr so wuselt….? Es hat lange gedauert, bis wir sie wieder losgeworden sind!
Nur mehr wenige Tage bis Weihnachten, also dranbleiben und weiterschwitzen.
Ich liege unterm Boot, schweißtriefend und dreckig, schleife altes Antifouling mit der Flex ab, daneben ein Brite unter seinem Fahrzeug bei derselben Arbeit:
Ich zu ihm: “well, another day in paradise!”
Er zurück: “sure, we’re living our dreams!”
Irgendwann wird Voodoochile wieder ins Wasser geworfen (leider nicht ganz fit, wie sich später herausstellen wird) und tags darauf machen wir gemeinsam mit “Naja” die Leinen los. In der Abenddämmerung laufen wir durchs Nadelöhr wieder ins offene Meer hinaus und freuen uns auf die vielen Freunde, die uns in Grenada zu Weihnachten erwarten.
Bis gleich und liebe Grüße an alle
Uli & Peer