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July, 2013:

Neues Meer, neue Crew

…oder wie VOODOOCHILE die Algen am Bauch loswurde

Seit langem schon wollten wir einmal gemeinsam segeln, es hat aber nie so recht gepasst. Jetzt ist es auf einmal soweit. Unsere vier Freunde haben zu Hause spontan alles liegen und stehen gelassen und kommen per Flieger nach Jerez. Abgesehen von der Aussicht auf schöne gemeinsame Tage bedeutet das für uns auch viel leichtere Nachtwachen auf der doch langen Strecke.

Klaus und Franzi, beide selbst Yachties und langjährige Segler, sind zuerst da. Nach freudiger Begrüßung und einigen Cruzcampos wandern wir zum ALDI, um ein paar Regale leerzukaufen. Einige Kisten werden im Bauch von VOODOOCHILE verstaut; danach gibt’s gemütlichen Tratsch mit Mosquito-Gesang. Wofür genau sind diese Tiere eigentlich gut?

Am nächsten Tag stehen Pidi und Ali vor der Tür. Mit irgendwelchen fadenscheinigen Vorwänden haben sie sich Urlaub genommen und sind noch ziemlich verschlafen. Dank ihnen wird das Durchschnittsalter auf VC wieder deutlich aus dem Geriatriebereich gedrückt. Auch sie haben jede Menge Segelerfahrung, was die Einweisung stark verkürzt.

Wir genießen ein letztes Abendessen in der belebten Altstadt von Puerto Santa Maria. Beim Anblick der vielen aufgebrezelten Teenies, die hier den Schulschluß feiern, hätte wahrscheinlich seinerzeit auch Cristobal Colon seine Abfahrt verschoben.

Sobald es die Tide zuläßt wollen wir los. Der Wetterbericht kündigt für die nächsten 30 Stunden Starkwind aus NE an. Da der Levanter vor der Straight aber anhalten soll und die Windrichtung ja stimmt, hat warten keinen Sinn und früh am Morgen werfen wir die Leinen los. Zum ersten Mal gibt’s Probleme mit dem Backbord-Motor, der irgendwie nicht in die Gänge kommen will. Nach der letzten Einfahrtstonne setzen wir Segel und prompt frischt auch der Wind immer mehr auf. Gegen Abend haben wir schon 30 Knoten aus Nordost, der Seegang wird höher, bald aber auch länger. Zum siebenten Mal segle ich jetzt in diesem Gebiet, und jedesmal war’s anders. Alle gewöhnen sich schnell an die starken Bootsbewegungen und VOODOOCHILE’s eher träges Verhalten am Ruder.

Die Wache während der Nacht wird in drei 2-Stunden-Teams eingeteilt, Pidi und Ali, Franzi und Klaus, Uli und ich. (Wir behalten das System später bei, da es sich gut bewährt hat). Nach jeweils vier Stunden Schlaf sind wir recht ausgeruht, was auch gut ist, denn das Steuern bei mittlerweile gut vier Meter Welle ist anspruchsvoll.

Im Morgengrauen die erste Sensation: wir rauschen mit stark gerefften Segeln dahin (max. Speed 10,4 kn!), als eine Schule von großen Walen knapp vor dem Bug unseren Kurs kreuzt. Einige Male sehen wir ihre runden Rücken im aufgewühlten Meer. Wir sind tief beeindruckt!

An diesem Abend – der Luftdruck ist etwas gefallen – flaut der Wind auf etwa 20 kn ab, die See geht noch hoch, insgesamt wird’s aber handiger. Da der Bericht – wie immer – schon wieder zu lang wird, werde ich die nächsten Tage zusammenfassen: lachen, quatschen, gut kochen (Franzi, Uli), jederzeit Capucchino (Klaus), mal segeln, mal motoren, Musik, an Bord alles wohl! Wegen der bei achterlichem Wind üblichen Rollerei streiten wir in der Nacht um die ruhigsten Schlafplätze – irgendwo am Boden! Uli schlägt – zusammen mit ihrem Ipod – alle Rekorde beim Steuern.

Unglaublich: die ersten vier Tage lang sehen wir jeden Tag große Wale!!! Über Delphine will ich gar nicht reden. Nie vorher erlebt habe ich auch, dass uns ein Schwarm kleiner Thunfische (vielleicht Bonitos?) einen ganzen Tag rund ums Boot begleitet hat. Mit einem Netz hätten wir vielleicht einen gefangen, mit der Schleppleine haben wir nur Chaos angerichtet.

Wegen der nervigen Rollbewegungen ändern wir zeitweise den Kurs in Richtung afrikanischer Küste und kreuzen vor dem Wind; auch kommen die Segel in windschwachen Phasen öfter mal back. Eine weitere Sensation war, dass es Klaus gelungen ist, den neuen Autopiloten richtig einzustellen (Seegangsfilter auf 7). Was für eine Wohltat für alle, von dem blöden Rad endlich wegzukommen. Jetzt funktioniert das Ganze recht ordentlich. Das Bier wird knapp, aber die Moral ist noch gut…

Landfall! Nach fünfeinhalb Tagen kommt im Dunst Lanzarote in Sicht – schon ein kleines Ereignis! Dicht unter Land frischt der Wind noch einmal ordentlich auf (gut 30 kn; das Handbuch warnt vor diesen typischen “acceleration zones” der Kanaren). Im zweiten Reff laufen wir den PUERTO CALERO an, eine der bestgeführtesten Marinas, die ich bis jetzt kenne. Drei Volvo-Ocean-Race-Teams sind hier stationiert, alles ist sauber, die Leute  äußerst zuvorkommend. Jetzt gibt’s einmal Bier und Dusche – und zehn Stunden Schlaf am Stück! Rund 680 Meilen waren es bis hierher, unser Tempo war nicht berauschend aber ganz ok. Alle gesund und munter.

Am nächsten Tag stellen wir beim Tauchen fest, dass wir – offensichtlich schon in Cadiz – ein Fischernetz im BB-Propeller gefangen haben. Ali, Uli und ich säbeln mühsam das verschweißte Plastik von der Welle. Deshalb die Motorprobleme!

Abends laufen wir wieder aus, zu den letzten 110 Meilen nach Gran Canaria. Bei “umlaufender Flaute” setzen wir übermütig alle vier Segel. Bis diese endlich stehen fahren wir einen Vollkreis…. naja! Für Fotos reicht’s.

In der Nacht fängt’s wieder zu blasen an, wir werden wieder durchgeschüttelt, sind gegen Morgen dafür aber wieder schnell unterwegs. Wieder viele Delphine! Um 1430 kommen die ersten Konturen von Gran Canaria in Sicht und wir segeln bis in den großen Hafen von Las Palmas, im Nordosten der Insel.

Immerhin fast 800 Meilen, und alle gut drauf! Herzlichen Dank an die Crew für die schöne Zeit, das kompetente Segeln, den guten Schmäh und die ausführlichen Erzählungen von zu Hause. JEDERZEIT WIEDER!!!!

Liebe Grüße

Uli & Peer

Los geht’s

…sowohl “schade” als auch “endlich”

 

Keine Details über endlose To-Do-Listen oder tränenreichen Abschied. Wir sind fit und VOODOOCHILE auch einigermaßen, das Wetter ist gut und der Wind sollte nach tagelangem Warten endlich von hinten kommen. In aller Früh laufen wir hinter “Plucky Lady”, der schönen stählernen Spray unserer Freundin Debbie, in die Straight of Gib hinein, mitten durchs übliche Verkehrschaos. Unser Ziel ist Rota, im Nordwesten der Bucht von Cadiz, und dann irgendeine Flußmündung an der Grenze zu Portugal, denn wir haben noch einige Tage Zeit bis zum vereinbarten Treffpunkt mit unseren Freunden, die mit uns die Überfahrt auf die Kanaren machen wollen.

Trotz ungünstiger Strömung sind wir schnell aus dem Nadelöhr heraussen und das Kap Trafalgar läßt uns diesmal in Ruhe segeln. Leider quittiert der neue Autopilot, auf den wir so gehofft haben, schon bei wenig Welle den Dienst. Shit! Hoffentlich bekommen wir das noch in den Griff. Am nächsten Morgen stoppt uns ein Schnellboot der Zollbehörde, zwei Typen kommen an Bord und kontrollieren die Papiere. Alles Ok.

 

Abends machen wir im Hafen der hübschen Stadt Rota fest, direkt neben dem großen spanischen Marinestützpunkt. Die maurische Altstadt ist schnuckelig, die Strände phantastisch. Es gibt schon viele spanische Sommertouristen und der Sangria beim Sonnenuntergang über dem Atlantik ist eisgekühlt. Segeln kann manchmal auch schön sein!

Am nächsten Abend hauen wir wieder ab, zwischen vielen Fischern, mit Kurs Ayamonte, ca. 90 Meilen entfernt. Die Nächte sind jetzt sehr kurz, es ist viel wärmer als in Gibraltar, aber die Sicht ist schlecht. Auch müssen wir einige Ölverladestellen, die wegen des seichten Meeres weit außer Landsicht verankert sind, beachten.

Am nächsten Vormittag kommt sehr spät die Küste des Grenzgebietes zwischen Spanien und Portugal in Sicht. Man hat uns die Isla Cristina in einem kleinen Nebenfluß des Rio Guadiana als schönen Ankerplatz empfohlen, aber zum Einlaufen müssen wir noch rund drei Stunden herumkreuzen, denn das Hafenhandbuch gibt in der Flußmündung bei Ebbe stellenweise nur 40 cm Wassertiefe an. Die Einfahrt ist spannend und schließlich werfen wir auf engem Raum zwischen einigen Trawlern und mit einigem Bauchweh unseren Anker in den Schlamm. “Windswept saltmarshes” nennt das Handbuch diesen Platz, und genauso ist es auch. Wildromantisch und schön, aber mit dauerndem Schwell durch Fischerboote jeder Größe. Manchmal, wenn uns die Strömung näher zum Flußufer trägt, zeigt das Echolot 0,0 Meter Tiefe an, und wir erwarten, in der Nacht trocken zu fallen, was aber für VC’s Doppelkiele kein Problem ist.

Mit dem Dinghi gehen wir am nächsten Tag an Land. Isla Cristina ist ein heißer, windiger und interessanter Ort. Mittags ausgestorben, etwas heruntergekommen, aber durchaus charmant. Der Fischfang dominiert eindeutig das Leben hier, und riesige vorzügliche Thunfischsteaks kosten 5 Euro. Den einzigen Internetzugang bietet ein orientalischer Telefon-Shop. Ausgesprochen freundlich sind die Leute hier, auch wenn sich kaum ausländische Touristen hierher verirren.

 

Weniger freundlich ist die Tatsache, dass man uns während unseres kurzen Spaziergangs unseren alten Außenbordmotor gestohlen hat! Gottseidank sprang der offensichtlich wieder einmal nicht an, denn sonst wären die Diebe sicher gleich mit dem ganzen Dinghi abgehauen, was uns ungleich mehr getroffen hätte. Trotzdem ein Wermutstropfen! What shall’s, das Leben ist zu kurz für langen Mißmut. Wir denken hämisch daran, welchen Ärger der hinterlistige Motor den künftigen Besitzern noch machen wird.

Leider rennt uns schon wieder die Zeit davon; wir wären sehr gerne noch weiter nach Portugal getingelt, bevor wir Europa vermutlich für längere Zeit verlassen würden.

Tags darauf laufen wir wieder aus, zurück nach Cadiz, anfangs mit wenig Wind, aber gegen Abend Rauschefahrt mit über 8 Knoten. Damit wir uns eine Marinanacht ersparen, lassen wir uns bei der nächtlichen Ansteuerung der riesigen Bucht von Cadiz Zeit und schleichen langsam flußaufwärts in den REAL CLUB NAUTICO PUERTO SANTA MARIA.

Nur dieser Name ist kompliziert, die Formalitäten sind einfach, die Leute äußerst zuvorkommend und der altehrwürdige königliche Yachtclub bietet neben einem feinen Pool auch ein gutes und billiges Restaurant. Als Draufgabe zu dem doch teuren Liegeplatz gibt’s mehrere Milliarden Mosquitos!

Wir freuen uns schon auf die Ankunft unserer Freunde

Liebe Grüße

Uli & Peer

Kein Resümee

…sondern ein vorübergehender Abschied von Freunden

 

Es ist einfach unmöglich, die Zeit in diesem Dreiländereck im Südwesten Europas in wenigen Sätzen zusammenzufassen. Besonders war jedenfalls, wie stark sich unser Eindruck von diesem Ort in den letzten acht Monaten verändert hat. Wenn wir an unsere Ankunft im letzten Herbst denken, an den Regen und Sturm, die vielen Unklarheiten, die unverständliche Sprache, die angebliche Hoffnungslosigkeit am Arbeitsmarkt  und die Gerüchte über hohe Kriminalität und dauernde Probleme zwischen Spaniern und Briten, so können wir das jetzt, da wir auf unvergeßliche Fahrten in Andalusien, auf die freundliche Aufnahme hier und auf soviele Begegnungen mit alten und neuen Freunden zurückblicken, kaum mehr nachvollziehen. Wie immer ist es gefährlich, vorschnell zu urteilen. Man muss etwas Geduld haben und jeder Gegend eine echte Chance geben.

Die anfänglich “patscherten” Marineros stellten sich als liebe, hilfsbereite Menschen heraus, der untypisch lange und kalte Winter wurde zu einem durchwachsenen mediterranen Dauerfrühling, viele andere Yachties wurden zu Freunden und das Land selbst hat uns fast jeden Tag aufs neue begeistert.

 

Arbeit – wenn auch meistens schlecht bezahlt – gab’s genug und Uli hat viele Freundschaften beim Sport, im Spanischkurs, beim Tanzen und beim Tratschen geschlossen und nebenbei noch tolle Bilder gemalt. Wir haben nette durchreisende Crews kennengelernt, der Bäcker fragte besorgt nach unserem Befinden, wenn wir morgens einmal kein frisches Brot geholt haben (das uns öfters von lieben Bootskollegen einfach kommentarlos aufs Deck gelegt wurde) und im Spital wurde mir langwierig, freundlich und kostenlos ein Splitter aus dem Aug entfernt.

 

Natürlich kann diese Zusammenfassung nicht vollständig sein. Ist auch gar nicht notwendig. Jedenfalls möchten wir uns für die Gastfreundschaft Spaniens bedanken, für die freundliche Aufnahme in der MARINA ALCAIDESA, für die Chance bei Eric und GATEWAY NAUTICA, bei Euch für die wunderbare gemeinsame Zeit während der zahlreichen Besuche und bei allen Yachties, mit denen wir hier so viele schöne Tage verbringen durften. Wir wünschen Euch “fair winds forever” und hoffen, uns bald wieder irgendwo zu treffen.

 

Wir bleiben in Kontakt

Uli & Peer

Ein Ende der Welt

…irgendwie auch heute noch

 

Um das Kapitel Mittelmeer schön langsam abzuschließen, möchten wir Euch gerne noch ein Stückchen aus dem schönen Buch “Die Enden der Welt” von Roger Willemsen (S. Fischer Verlag, ISBN 978-3-10-092104-8), das die Gegend so treffend beschreibt, vorlesen. Wenn’s zu lang ist, dann bitte einfach zuklappen. Das nächste Mal gibt’s wieder Fotos. Versprochen!

Non plus ultra, “Nicht darüber hinaus”, lautet die Inschrift, die sich auf den Säulen des Herkules befinden soll, von ihm selbst dort angebracht. Die eine der beiden Säulen steht der Legende zufolge auf dem Felsen von Gibraltar, die andere auf dem Berg Dschebel Musa in Marokko. Andere Quellen nennen den Monte Hacho bei der spanischen Enklave Ceuta in Nordafrika als Standort der zweiten Säule. Aber das ist nicht wichtig. Wichtig ist: Die Griechen hielten diese Meerenge für ein von Herkules durch zwei Säulen markiertes Ende der Welt.

Die beiden Säulen tragen vermeintlich den Himmel. Aber was heißt das schon? “Wenn jemand meinte, die Bäume seien dazu da, um den Himmel zu stützen”, steht bei Grillparzer, “dann müssten sie ihm alle zu kurz vorkommen.” Die Säulen des Herkules finden auch in einer Pindar-Ode Erwähnung, und im Buch Hiob, wo Gott dem Meer seine Grenzen auferlegt, heißt es: “Bis hierher sollst du kommen und nicht weiter/hier sollen sich legen deine stolzen Wellen.”

Christa kannte sich nach allen Recherchen zu den Weltuntergangspropheten gut mit den Mythen von den Grenzen der Welt aus. “Platon siedelt sein Atlantis jenseits der Säulen an”, sagt sie, “vielleicht, um so ihren mythischen Charakter zu unterstreichen.”

“Es gab aber auch Autoren, die die Säulen in Friesland, sogar auf Helgoland vermuteten. Im Wappen Spaniens tauchen sie auf, und selbst die beiden Vertikal-Striche im Dollarzeichen – ursprünglich ein spanisches Goldgewichtszeichen – sollen auf die Säulen zurückgehen.”

“Aber wenn man sagt: Bis hierher und nicht weiter”, wandte Christa ein, “hat man zwar eine Grenze gesetzt, doch zugleich alle Aufmerksamkeit auf das konzentriert, was hinter dieser Grenze liegen könnte. Eigentlich hat man damit ihre Überschreitung vorstellbar gemacht, oder?”

“Man hat die Phantasie sogar magisch auf diesen Akt der Überschreitung verpflichtet. Nacheinander wurde Sokrates, Tertullian und Epikur die Maxime zugeschrieben: ‘Quae supra nos, nihil ad nos: Was über unser Erkenntnisvermögen hinausgeht, hat keine Bedeutung für uns.’ ”

“Damit wäre die geographische Grenze der erkennbaren Welt zugleich eine Grenze des Erkennens.”

“Eine Grenze der Neugier”, sage ich.

Wir hatten es nicht mehr weit bis Gibraltar und dann bis zur Überfahrt nach Tanger, in die vielstimmige, vielgesichtige Vielvölkerstadt. Doch der Abend kam so rosa über die südspanische Provinz, dass wir uns nicht lassen konnten und noch einmal ausstiegen. Das war am fünften Tag. Das Hotel, ein alter Postgasthof mit Fachwerk auf der Fassade und schweren dunklen Balken im Zimmer, lag an der Stirnseite des Marktplatzes. Ich lehnte mich aus dem Fenster. Eine Frau auf dem Platz fiel mir auf. Erst wusste ich nicht, warum, dann wusste ich es plötzlich: Sie war die Einzige, die flanierte.

Am nächsten Mittag stehen wir auf dem Felsen von Gibraltar, in Sichtweite des afrikanischen Kontinents. Der kleine Ort hier, der einmal von Fischern, Einzellern und Paarhufern besessen wurde, gehört heute der Schicksalsgemeinschaft internationaler Tagestouristen und besteht aus Andenken mit Meerblick. Das Andenken ist ein billiger Bodendecker und hat die Kuppe des Hügels inzwischen so vollkommen überzogen, dass zwischen lackiertem Plastik, buntem Blech und geflochtenem Folklore-Geflügel nur ganz selten der frühere Kalksteinboden aufblitzt. Der zu bestaunen wäre. Aber schon das Meer, das gegen die Andenken brandet, trägt wieder die trübe Farbe einer Sofastickerei.

Nach Gibraltar reisen Menschen aus aller Welt, um auf der Ostseite gegen Eintrittsgeld ein Naturschutzgebiet zu betreten und auf der Westseite Souvenirs abzubauen. Anschließend überlassen sie sich gern der immergleichen menschlichen Materialermüdung, die sich auf einem Stuhl vor dem Meer manifestieren kann. Und während der apokalyptische Reiter der Langeweile am wolkenlosen Himmel heraufzieht und in den Großküchen die Magen-Darm-Verstimmung zu tausendfachem Leben erweckt wird, schleicht sich der Tourist hinaus, um sich ein Souvenir zuzulegen, das ihn an nichts erinnern wird als an den Kauf dieses einen Souvenirs, ein Schiffchen mit dem Namenszug des Käufers, eine Flickenpuppe in Nationaltracht, ein plüschgeborenes Berberäffchen oder ein aufziehbarer Torero, der sich über den Boden bewegt wie die wandelnde Darmträgheit. Ja, Gibraltar ist ein Ort, an dem die Souvenirs an sich selbst erinnern oder an die missglückten Versuche zu verschwinden.

Im strahlenden Mittagslicht stehen wir also wirklich auf dem legendären Felsen, blicken auf den bloß ein paar Kilometer entfernten Streifen Afrika, in das Jenseits des Nonplusultra, und empfinden unsere Freiheit. Der antike Mensch durfte sich hier nicht weiterwagen. Eine Grenze wurde gezogen, ein Verbot aufgerichtet vor dem fast sündhaften Begehren, das Unbetretene zu betreten. Mehr noch, eine Warnung wurde ausgesprochen vor dem kühnen Ehrgeiz, das begleitende Risiko schultern zu wollen. Immerhin konnten ja jenseits dieser Grenze ungeahnte Kategorien des Gefährlichen liegen.

In diesem Augenblick fühlte es sich an, als käme meine Reise, die in Tokio ihren Ausgang genommen hatte, an ihr Ziel. Doch dieses hatte sich gewandelt, nicht unähnlich jener Veränderung, die auch das historische Reisen erfahren hat: Ehemals wurde die Neugierde charakterisiert durch den zwecklosen Erkenntniswillen, den Drang, einer Witterung zu folgen, ohne recht zu wissen, wovon er geleitet wird. Es war die souveräne Bewegung des Fragenden. Souverän war sie, erlaubte sie doch selbst das In-die-Irre-Gehen dieses Fragenden. Gerade an dieser Grenze zur verbotenen, zur unbekannten Welt muss sich also die Wissbegierde stimuliert haben. Der Reisende muss neben allen anderen Gefahren auch die Skepsis gegenüber der Anhäufung des Nutzlosen überwinden. Die Neugier findet ja immer auch dies. Vom eigenen Ich muss sie sich ab-, der Welt muss sie sich zuwenden und weiß nicht einmal, was sie finden wird. Trotzdem kann es geschehen, dass sie schließlich den Horizont erweitert, so wie die Seefahrt und Astronomie es vorgemacht haben.

Ich erinnere mich, auf dem Titelblatt einer Schrift von Francis Bacon das Schiff des Odysseus hinter den Säulen des Herkules gesehen zu haben. Odysseus, der bei Dante auf der untersten Stufe des Infernos zu finden ist und als Einziger nicht bereut, kreuzt als Symbolfigur der Neugier jenseits der Grenzen der bekannten Welt.

“Faszinierend, oder?”

“Aber damit ist die Grenze des Nonplusultra doch schon überwunden”, widersprach Christa.

“Genau, und deshalb lautete die Devise von Karl V. auch Plus ultra! Und das, seit klar war, dass das Nonplusultra eben nicht das Ende der geographischen Welt bedeutete. Also: Plus ultra!” rief ich noch und schnalzte mit der Zunge.

“Dann ist dies jetzt der richtige Augenblick, dir zu sagen, dass ich hier umkehren werde” antwortete sie und betrachtete mein verblüfftes Gesicht wie ein Exponat.

“Hat sich Deine Neugier erschöpft?”

“Du hast sie erschöpft. Aber nimm’s nicht persönlich.”

Stunden später nahm sie den Zug nach Madrid, wo sie bei Freunden übernachten konnte. Ich brachte sie zum Gleis, wo wir uns zum Abschied tapfer auf den Mund küssten, um nicht gutmütig zu enden. Am nächsten Tag ließ ich die Säulen des Herkules hinter mir, erreichte Tanger und betrat ganz allein die jenseitige Welt. Aber erst, als im Aufzug des Hotels Julio Iglesias zu singen anfing, spürte ich eine Traurigkeit aufsteigen. Es gibt kein Nonplusultra. Man kann die bekannte Welt nicht verlassen.

Also bis morgen dann und liebe Grüße

Uli & Peer

 

 

Maurische Paläste und Schilifte

…Granada muß man wirklich gesehen haben!

 

Wir haben es uns fest vorgenommen und schließlich, trotz letzter Vorbereitungen für die baldige Abreise, auch tatsächlich noch geschafft: einen Ausflug in die sagenumwobene Stadt Granada, am Fuße der 3000 Meter hohen Gipfel der Sierra Nevada. Rund 350 Km von La Linea, über nagelneue, kaum befahrene Autobahnen, durch wunderbares Hügelland mit endlosen Reihen von Olivenbäumen, gelangen wir zu dieser phantastischen Stadt. Eine Besichtigung der Alhambra muss im Vorhinein online gebucht werden, sonst hat man keine Chance, gemeinsam mit tausenden Besuchern aus aller Welt die Nazridenpaläste zu erleben.

Trotzem – es ist den Aufwand mehr als Wert! Unglaublich, mit wieviel Sinn für Ästethik hier in der klaren Bergluft von maurischen Herrschern bereits vor mehr als tausend Jahren eine riesige Palastanlage errichtet worden ist, mit welchem Geschick und welch grandioser Baukunst. Schwer vorstellbar, dass das Land nach Ablöse der arabischen Fürsten durch die “allerkatholischsten” Eroberer praktisch wieder in die Steinzeit zurückgeworfen wurde. Nach einer jahrhundertelangen Epoche von (vermutlich einigermaßen) friedlichem Zusammenleben von Christen, Juden und Moslems, mit funktionierenden Strukturen, Schulen und intakter Wirtschaft folgte in Andalusien eine lange Ära von Vertreibungen, Intoleranz und schließlich der Inquisition. Toll!

 

 

Nach dem langen Hatscher durch das riesige Alhambra-Gelände erlebten wir in der Altstadt ein buntes, lärmendes Volksfest mit einem echten Kasperltheater und einem Holzkarussell für die Kinder und vielen eleganten Damen in Flamenco-Tracht.

 

 

Dann haben wir uns ausnahmsweise eine Nacht in einem besseren Hotel gegönnt, von dessen Dachterrasse mit Pool man die ganze Stadt und die schneebedeckten Gipfel dahinter sehe konnte.

Der Ausflug war ein würdiger Abschluß unserer sieben Monate hier in Andalusien. Solltet Ihr also einmal in der Nähe sein….

Alles Liebe und bis gleich

Uli & Peer